Usul TheRa Mas

Meine Jugend

Dieser Text diene als Einleitung zu meinem Buch "Usul - Die Geschichte eines Suchenden". Ich hoffe, damit diejenigen, die mein Buch lesen, mich mehr verstehen zu machen. Herzlichen Dank moechte ich an meinen Freund Altamir richten, der mich beim Schreiben dieser Texte unterstuetzte. ( Ich glaube, ich habe da noch einen Barriswein, Jahrgang 693 im Keller,...). Dank auch an alle, die mich auf meiner Wanderschaft begleiteten, meine Freunde und Mitstreiter. Dank auch an meinen Freund Gesgady, den Geist des Wurde.

MagierturmGeboren wurde ich am 28. Tag des fuenften Monats im Jahre 681 nach der Gruendung des Reiches Trakin, an einem schoenem warmem Sommertag, wie mir meine Mutter einmal erzaehlte. Sie meinte, ich seie beinahe in der Kutsche auf dem Weg zur Hebamme auf die Welt gekommen. Ich wurde unmittelbar nach meiner Geburt auf den Namen Usul getauft, ein alter Mayi Name, der soviel bedeutet wie ' Das Fundament der Saeule'.

Meine Eltern waren zwei rechtschaffende Leute, ein Bauernehepaar, wie es sie zu tausenden in Maya gibt. Wir besassen einen grossen Hof mit einigen Morgen Land, die sich scheinbar bis zum Horizont erstreckten, jedenfalls fuer mich als kleinen Jungen. Frueher dachte ich immer, die Welt hoere hinter den


Kurz nachdem ich zwoelf Jahre alt geworden war, bekam ich eine schreckliche Lungenentzuendung. Ich war im Winter beim Spielen in den Fluss hinter der Wassermuehle gefallen und hatte dann dummerweise in der nassen Kleidung noch eine Weile weitergespielt, schliesslich musste unser Damm ja noch fertiggestellt werden. Abends bekam ich heftige Kopfschmerzen. Ich musste immer heftiger husten, schliesslich meinte ich, ersticken zu muessen. Heftiges Fieber schien meinen Koerper verbrennen zu wollen, und meine Eltern warfen sich immer besorgtere Blicke zu, versuchten jedoch, mich dies nicht merken zu lassen. Meine Geschwister durften die folgenden Tage nicht mehr mit mir in einem Zimmer schlafen, sie wurden kurzerhand auf dem Heuboden in der Scheune einquartiert, wofuer ich sie beneidete. Sie konnten von den Eltern unbeaufsichtigt bis in die Nacht herumtollen, waehrend ich hier herumlag, zur Untaetigkeit verdammt. Nach drei weiteren Tagen, mein Fieber war noch schlimmer geworden und beim Husten kam mir manchmal klumpiges Blut aus dem Hals, dachte ich, sterben zu muessen. Ich nahm nur noch schleierhaft meine Umwelt wahr, bekam im Halbschlaf mit, wie mein Vater mitten in der Nacht sein Pferd sattelte und den Hof verliess.
Als ich das naechste Mal erwachte, sah ich verschwommen einen hellen orangen Umriss vor meinem Bett stehen. Ich wunderte mich, denn ich dachte immer, Engel haetten weisse Gewaender. Eine kuehle Hand legte sich auf meine gluehende Stirn, und ich war ploetzlich hellwach. Ein leichtes Kribbeln breitete sich erst in meinem Kopf, danach ueber den ganzen Koerper aus. Mit einem Male war ich wieder bei vollem Bewusstsein und sah staunend den Mann in der orangen Robe an, der seltsame Worte vor sich hinmurmelte. Leichte Schweissperlen standen auf seiner Stirn, und des oefteren legte er irgendwelche Gegenstaende in seltsame Schalen, wo sie lautlos verpufften. Er sah mir in die Augen und grinste mich an. Nie werde ich diesen Blick vergessen, voller Frieden und Zuversicht.
"Das war's," sagte er mit leiser, geloester Stimme, "steh wieder auf, Usul."

Zu meinen Eltern gewandt sprach er:"Ihr habt mich sehr spaet geholt, noch einen Tag und er waere tot gewesen."
Ich sah ihn eine Weile erstaunt an, dann schwang ich ein Bein ueber die Bettkante und setzte den Fuss auf den Boden. Langsam wiederholte ich das mit dem anderen Bein, jeden Moment mit einem voelligen Kraeftezusammenbruch rechnend. Vorsichtig stuetzte ich mich von meinem Bett hoch und stellte mich aufrecht hin. Mir war, als haette ich nicht tagelang sterbend im Bett gelegen, sondern waere gerade erst aus einem erholsamen Schlaf erwacht. Meine Mutter fiel mir schluchzend um die Arme. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie mein Vater etwas mit dem fremden Mann fluesterte und von ihm etwas ueberreicht bekam. Als er selber etwas in die Hand des anderen legen wollte, hob dieser abwehrend die Haende. Mein Vater senkte beschaemt den Kopf und steckte den Gegenstand wieder ein. Kurz bevor er in seiner Tasche verschwand, bemerkte ich ein Glitzern. Mein Vater hatte das goldene Armulett hergeben wollen, das schon seit vielen Generationen als Gluecksbringer in unserer Familie war! Der fremde Mann verabschiedete sich mit einem Kopfnicken und verliess das Zimmer. Ich loeste mich aus der Umarmung meiner Mutter und rannte sofort in die Scheune, schliesslich mussten meine Geschwister und Freunde ja sofort die Neuigkeit erfahren.

Einige Wochen spaeter, die ganze Geschichte hatte ich schon bald wieder vergessen, das Leben nahm wieder seinen gewohnten Lauf, wollte mein Vater mit mir alleine etwas besprechen. Wir machten einen Spaziergang in dem grossen Wald hinter dem Dorf. Eine ganze Weile gingen wir schweigend nebeneinander her. Ich merkte, dass ihn etwas bedrueckte. Schliesslich brach er das Schweigen. "Erinnerst du dich an den Mann, der dich neulich geheilt hat ?" "Natuerlich, Vater." entgegnete ich. "Dieser Mann war ein Magier." fluesterte er. Ich sah ihn fragend an. Das wusste ich doch laengst, ich hatte es selber doch schon allen meinen Freunden erzaehlt, und sie beneideten mich alle um dieses Erlebnis. Schon seit Jahren war in unserem Dorf kein Magier mehr gewesen. "Er sieht die Welt mit anderen Augen als normale Menschen, und er fuehlt Dinge, die wir nicht fuehlen koennen, glaub mir." Er fiel fuer eine kurze Zeit wieder in Schweigen, dann sagte er: "Dieser Magier laesst dich ueber mich fragen, ob du sein Schueler werden willst." Ich starrte ihn eine Weile sprachlos an. Er wirkte viel zu ernst, also war dies alles kein Witz. "Ich? Wie kommt er denn auf mich?" stotterte ich erregt. "Er meinte woertlich, er haette in dir irgendwelche Stroemungen gespuert, die es auszurichten gaelte. Und glaub mir, solche Leute wissen, was sie reden. Er meint, du haettest die Faehigkeiten, ein Ma- gier zu werden. Ich soll dich fragen, ob du als sein Schueler in seinem Turm unterrichtet werden willst." "Sofort!" rief ich eifrig, "Sofort!" Mein Vater sah mich durchdringend an. "ueberleg es dir gut, Sohn. Wenn du fortgehst, lebst du in einer anderen Welt als wir, deine Familie und Freunde, die du zuruecklaesst. Wir werden uns vielleicht nie wieder sehen, die Magierlehre wird dich ganz und gar vereinnahmen. Du wuerdest ein ganz anderer Mensch, und wir wuerden fortan aneinander vorbeireden, weil die alltaeglichen Geschehen hier auf dem Hof fuer dich ohne Interesse waeren, und andererseits wir mit deinen Begriffen und Zielen nichts anzufangen wuessten. Es ist nun deine freie Entscheidung, und ich werde dich nicht dabei beinflussen. Ich werde akzeptieren, was auch immer du zu tun gedenkst."

Eine Weile gingen wir noch in Gedanken nebeneinander her, dann nahmen wir den naechsten Weg, der wieder zum Dorf fuehrte. Beim Abendessen war es viel stiller als sonst, und ich merkte, wie meine Geschwister mir verstohlene Blicke zuwarfen. Sie bemerkten scheinbar ebenfalls die seltsame Stimmung, die ploetzlich auf mir lastete.
Gleich nach dem Essen ging ich alleine in den Wald, um mit meinen Gedanken alleine zu sein. Zentnerschwer lastete die Entscheidung auf mir. Hatte ich ueberhaupt das Recht, einfach unseren Hof zu verlassen, und meine Familie mit der schweren Arbeit alleine zu lassen? War es nicht meine Aufgabe, auf den Feldern zu arbeiten und das Vieh zu hueten?
Ich hatte schon als Kind grossen Respekt vor den Magiern beigebracht bekommen. Mein Leben lang hatte ich gehofft, wenigstens mal einen dieser maechtigen Menschen zu Gesicht zu bekommen. Und nun lag es an mir, selber einer von ihnen zu werden. Ich koennte mit meinen Vorbildern zusammen wohnen und arbeiten!
Ich, ein einfacher Bauernjunge. Wie sollte ich fuer diese grosse Aufgabe geschaffen sein? Vor meinem geistigem Auge sah ich den orangen Magier mir weise zulaecheln. Niemals, dachte ich, koennte ich so werden. Ich war doch nur ein dummer kleiner Junge.
Aber andererseits hatte er es ja selber gesagt, ich haette die Begabung dazu. Niemals, hatten wir in der Schule gelernt, duerfen wir normalen Menschen uns das Recht nehmen, die Worte eines Magiers anzuzweifeln. Doch worin besteht diese Begabung ? In der Schule war ich bei weitem nicht der gescheiteste. Mit dem Schreiben hatte ich sehr viele Probleme. Auch sportlich war ich nichts besonderes. Wieso gerade ich ? Wieso nicht der Sohn vom alten Hermann, von dem gesagt wurde, er wuerde spaeter bestimmt mal ein hohes Amt in der Stadt bekleiden. Schliesslich wusste er auf alles und jede Situation eine passende Antwort. Was war ich schon dagegen?

Vielleicht war dies ja einfach meine Bestimmung. Vielleicht war die Sache schon lange vor meiner Geburt vorherbestimmt. Wie die Geschichte von Shalan, dem Schafhirten, dem abends im Sternenhimmel eine Koenigskrone erschien. Am naechstem Morgen kam das ganze Schlossgefolge von Fundra zu seinem Hof, warf sich vor ihm im Schlamm auf die Knie und kroente ihn zum Kaiser des Reiches. Schon seit Generationen hatten Wahrsager seine Geburt vorhergesagt.

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht merkte, wie die Zeit verstrich. Erst als neben mir etwas ins Gebuesch huschte, schreckte ich auf. Ich musste stundenlang gegangen sein, es war schon stockdunkel. Der Mond stand bereits sehr hoch. Es war bestimmt sehr spaet nach Mitternacht. Sofort machte ich kehrt und begann, den Weg zurueckzugehen. Meine Eltern wuerden mit mir schimpfen und mich bestrafen, schoss es mir durch den Kopf. Schliesslich ist es nachts draussen sehr gefaehrlich, boese dunkle Gestalten sollen sich im Schatten der Nacht herumschleichen und auf Opfer warten. Abends sassen wir als Kinder gerne beisammen und erzaehlten uns schaurige Geschichten. Wenn man in der Gruppe ist, lacht man ueber solche Sachen. In diesen Momenten jedoch packte mich pure Angst. Hinter jedem Baum schienen die Monster aus diesen Geschichten zu harren, eines graesslicher als das andere. Und jeder Schatten nahm fuer mich Gestalten an, die mir Schauer den Ruecken herunterjagten. Graessliche Fratzen umgaben mich, die sich dann im letzten Moment doch als Schatten irgendwelcher Zweige und Blaetter herausstellten. Mein Herz pochte wie wild, teils vor Anstrengung, teils vor Angst. Jeder Zweig, der mein Gesicht streifte, schien eine riesige Klaue zu sein. Ich begann, immer schneller zu gehen, rannte schliesslich sogar. Irgendwann stolperte ich ueber irgendetwas. Aus vollen Lauf schlug ich mit dem Kinn auf den steinigen Weg auf und mir blieb die Luft weg. In meinem Mund merkte ich den Geschmack von Blut und meine Zunge pochte vor Schmerz. Ich blieb still liegen, unfaehig zu jeder Bewegung. Helle Punkte drehten sich vor meinen Augen. Meine Beine fuehlten sich seltsam taub an, nach ein paar bangen Sekunden merkte ich jedoch, dass ich sie noch bewegen konnte.

Eine Weile lag ich noch keuchend da, der ganze Koerper schmerzte. Das Pochen meiner Zunge liess langsam nach. Ich spuckte etwas von dem Blut aus, das sich in meinem Rachen ansammelte und schloss die Augen. 'Wenn ich nichts sehe ist da auch nichts', dachte ich grinsend. Als Kind hat man es noch leicht, den Problemen der Realitaet zu entfliehen. Doch ich war kein Kind mehr, dachte ich. Ich musste sofort aufstehen und weiterlaufen. Meine Eltern machen sich sicher schon verrueckt vor Angst.
Ich hatte mich gerade halb erhoben, als mich etwas kaltes an der Schulter beruehrte. Ich schrie, schrie so laut ich konnte in meiner Panik.
Eine kalte Hand packte unsanft zu und schleuderte mich wieder zu Boden. Mein Schrei blieb im Halse stecken, als ein dunkler Schatten neben mich huschte. Schwache Lichtreflexe waren das einzige, das ich ausmachen konnte, etwa wie ein nasser glatter Stein schimmerte die Haut dieses Wesens. Leises Zischen hing in der Luft, sonst war nichts wahrzunehmen. Ich spuerte, wie mich boese Blicke trafen.
'Bitte nicht!' dachte ich bei mir, immer wieder diese beiden Worte wiederholend. Mein Atem ging zunehmend schneller, und im Takt meiner Atemzuege dachte ich immer wieder diese beiden Worte, sprach sie vielleicht sogar. Langsam ueberwand ich meine panische Angst und begann meine Lage mit einer Gelassenheit einzuschaetzen, die mich selber erstaunte. Das Wesen neben mir war groesser als ich, dann war es bestimmt auch viel staerker als ich. Ausserdem kann es wahrscheinlich in der Nacht sehen, sonst waere es nicht so zielstrebig auf mich zugekommen. Kaempfen hatte also keinen Sinn. Was blieb mir sonst noch uebrig? Weglaufen war bestimmt auch zwecklos, was sich so geschickt bewegt, ist bestimmt auch sehr schnell. Ich blickte herueber zu dem Wesen. Nach einigen Sekunden waren meine Augen soweit, dass ich die Augen meines Gegenuebers erkennen konnte. Geschlitzte Pupillen wie die einer Katze musterten mich. Langsam naeherte es sich mir. Eine Aura beruehrte mich, die meine Haut kribbeln liess. Als waere dieses Wesen in eisigkaltes Wasser eingehuellt.Mir blieb nicht anderes ueber, als still dazusitzen. Das Wesen verharrte ploetzlich in seiner Bewegung. Irgendetwas, das nicht aus fester Materie war, schien meine Kopfhaut zu beruehren und sie dann sanft zu durchdringen.
Fremde Gedanken drangen leise in mein Hirn, langsam lauter werdend. Irgendetwas schien sich in meinem Schaedel auszubreiten. Meine Gedanken wurden zunehmend traeger. Eine sanfte Stimme fluesterte mir beruhigend zu, machte mich schlaefrig. Was war das? Ploetzlich hatte ich die Loesung. Das Wesen versuchte, von meinem Denken Besitz zu ergreifen. Warum ? Wut ueberkam mich, als geistige Finger sich immer enger um meine Gedanken klammerten. Mit einem gewaltigen Kraftakt riss ich die Kontrolle ueber mein Gehirn wieder an mich. Es war vor meinem geistigen Auge, als wuerde ich etwas zwischen meine Haende nehmen, von mir losreissen und mit aller Kraft zusammendruecken. Ein schriller, lauter Schrei gellte auf. Ich konzentrierte mich weiter auf das Bild mit meinen Haenden, es half mir, ueberhaupt eine Bruecke zur Realitaet zu bilden, mit dem was ich tat. Mein Feind windete sich unter meinem starken Griff, und ich wunderte mich, warum nur so eine schwache Gegenwehr zu spueren war. Wieder drueckte ich mit aller Kraft zu. Das Schreien ging immer mehr in ein Winseln ueber.
Ich begann langsam Gefallen an der Macht zu finden, die ich mit einem Male ueber dieses Wesen hatte. Als nur noch ein leises Wimmern zu vernehmen war, liess ich in meiner Konzentration nach. Mir wurde bewusst, dass ich die letzten Augenblicke meinen Koerper gar nicht mehr wahrgenommen hatte, die ganze Sache hatte sich nur im Geiste abgespielt.

Ich fand mich schweissgebadet wieder auf dem Weg sitzend. Kein Laut erfuellte die Luft. Die Welt schien um mich herum den Atem anzuhalten. Die Sonne war schon wieder aufgegangen, ich war durchfroren und hungrig . Hastig blickte ich zur Seite. Das Wesen sass noch neben mir, es bewegte sich nicht. Seine Augen starrten mit gebrochenem Blick vor sich hin, Speichel rann aus seinem Mund. Ich nahm mir gar nicht erst die Zeit, es naeher zu untersuchen, sondern rannte sofort los. Als ich zu Hause ankam, erwarteten mich meine Eltern bereits. Wider Erwarten schimpften sie nicht mit mir, sondern gaben mir frische Kleider und Nahrung, ohne ein Wort ueber die letzte Nacht zu verlieren. Ich erzaehlte niemandem von meinem Erlebnis, und tagelang redete ich wohl auch kein Wort. Ich hatte meinen Entschluss schon laengst gefasst. Als ich abends bei Tisch verkuendete, dass ich die naechsten Tage aufbrechen werde, um Magierlehrling zu werden, wirkten meine Eltern gar nicht ueberrascht, sie hatten es sich wahrscheinlich schon laengst gedacht. Auch meine Geschwister nahmen es gelassen hin, als seien sie darauf vorbereitet worden. Nach dem Essen nahmen mich meine Eltern mit in ihre Stube und schlossen die Tuer. "Wir sind auf einer Seite traurig, dass du dich so entschieden hastes ist als verloeren wir einen Sohn auf der anderen Seite sind wir aber auch stolz auf dich. Wir wissen, dass du eines Tages ein maechtiger Magier wirst." sagte meine Mutter "Von nun an koennen wir dir nicht mehr als Eltern dienen, weil wir auf die Aufgaben, die nun vor dir liegen werden, keinerlei Loesungen anbieten koennen. Du wirst in eine andere Welt entschwinden, von der wir kaum etwas wissen." Mein Vater nickte. "Wir hoffen jedoch, dass der Kontakt zwischen uns nicht abreisst.", dabei hatte er jedoch einen seltsamen Ausdruck in den Augen, er wusste scheinbar, dass dies kaum moeglich war. Er legte mir eine Hand auf die Schulter. "Ta'Mo gab mir das, es wird dich zu ihm bringen, schneller als die Voegel ueber den Himmel fliegen koennen." Er holte eine kleine versiegelte Schachtel aus seiner Hosentasche und hielt sie mir hin. Mit zitternden Fingern brach ich das Siegel und oeffnete sie. Ein Stueck Kreide!
Verbluefft starrte ich auf das etwa daumenlange Stueck, dann sah ich meine Eltern an. "Soll ich mir etwa einen Ta'Mo malen?" prustete ich ploetzlich los. Meine Eltern sahen mich erstaunt an, dann lachten sie auch los. Wir lagen uns eine Weile lang lachend in den Armen. Wahrscheinlich war es die Angst vor dem uns bevorstehenden, die uns so hilflos lachen machte. Irgendwann wurden wir wieder ernst.
"Wann soll ich meine Sachen packen?" fragte ich.
"Wo du hingehst, da brauchst du keine Eigentuemer. Du bekommst dort alles, was du zum Leben benoetigst. Du nimmst einfach die Kreide und malst dies auf den Boden."
Er hielt mir ein Stueck Papier hin, auf dem ein fuenfzackiger Stern gezeichnet war.
"Dann stellt du dich in seine Mitte und sagst laut und deutlich deinen Namen. Im selben Augenblick wirst du bei Ta'Mo sein."
"Und wann?" fragte ich. "
Am besten jetzt sofort. Du machst dir und uns den Abschied nur schwerer, wenn du zoegerst. Allen, die dich kennen, sagten wir bereits Bescheid." meinte meine Mutter. Ich sah sie an und nickte langsam. Irgendwie wusste ich, dass ich es so machen wuerde. Die groessten Schritte im Leben geschehen halt kurz und spontan. Ich nahm die Kreide und begann die vorgegebene Figur auf den Holzboden zu zeichnen, vor Aufregung total krumm und schief. Wir kuessten uns ein letztes Mal. "Ich werde vorbeikommen!" versprach ich, und sie nickten. Dann stellte ich mich in die seltsame Figur, schloss die Augen und sagte mit zittriger Stimme: "Usul The'Ra Mas.". Dabei hoffte ich, dass nun irgendetwas geschehe, ich kam mir seltsam albern vor. Ein leichtes Ziehen fuhr ploetzlich durch meine Glieder, die letzten Silben meines Namens wurden wie von dem Echo eines grossen kahlen Raumes zu mir zurueckgeworfen. Es war, als griff mich eine grosse Hand und hob mich empor. Obwohl ich die Augen geschlossen hielt, sah ich einige dunkle Gestalten umherhuschen, als wollten sie mich jagen. Doch irgendetwas hielt sie von mir fern, nahm mich scheinbar in Schutz. Einen sehr kurzen Moment glaubte ich sogar, klagende Stimmen zu vernehmen. Ich weiss bis heute nicht, wieso mir soviele Eindruecke dieser Reise in Erinnerung blieben, zu kurz war sie eigentlich um ueberhaupt etwas wahrnehmen zu koennen. Dem Gefuehl des Getragenwerdens folgte das Gefuehl eines Falles, wie aus einigen Zentimetern Hoehe. Meine Fuesse spuerten mit einem Male wieder festen Boden, und als sei eine mich umhuellende Glocke ploetzlich verschwunden, huellten mich wieder Geraeusche ein auch wenn es zuerst nur die Geraeusche meines eigenen Atems waren. Ohne etwas dagegen tun zu koennen, schluchzte ich leise. Traenen begannen sich in meinen Augen zu sammeln. Mir wurde jetzt erst bewusst, dass ich soeben einen sehr grossen Schritt getan hatte, und nun gab es kein Zurueck mehr...





Meine Ausbildung

Mattes Licht drang durch meine geschlossenen Lider. Unsicher schlug ich die Augen auf, langsam baute sich vor mir die Welt wieder auf. 'Was fuer eine Welt ?' fragte ich mich. Zuerst sah ich nur grau. Etwa zehn Schritte vor mir war eine Mauer. Ich drehte den Kopf und sah, dass die Mauer mich kreisfoermig umgab. Sie war aus grob gehauenen Steinen gefertigt. oeber mir war eine Decke aus sauber gehobelten Holzplanken. Nicht einmal springend haette ich sie erreichen koennen, so hoch war sie. Mein Blick wanderte nach unten. Ich stand inmitten eines solchen Zeichens, wie ich es vorhin mit der Kreide gezeichnet hatte. Als ich mich niederhockte, um dieses Zeichen zu betrachten, merkte ich, dass es aus kleinen, weissen Mosaiksteinchen bestand. Diese waren so perfekt in den Boden eingelassen, dass meine Finger nicht den uebergang eines solchen Steinchens zum Boden ertasten konnten. Wieder schweifte mein Blick durch den Raum. Erst jetzt fielen mir fuenf Fackeln auf, die jeweils bei einer Spitze der seltsamen Figur auf dem Boden an der Wand befestigt waren. Mit einem grossen Schritt, eher schon einem Sprung, verliess ich diese Figur, hoffend, dass nun nichts schlimmen geschehe. Nichts geschah, und so ging ich zu einer der Fackeln. Die Fackel lag in einer eisernen Fassung, die in der Wand steckte wie ein heisser Nagel, den man in eine Kerze sticht. Keinerlei Befestigung war zu sehen. Die Flamme leuchtete in einem sehr freundlichen Ton, flackerte jedoch ueberhaupt nicht. Ich pustete sie an, sie ruehrte sich jedoch immer noch nicht. Das kam mir nun seltsam vor. Behutsam hob ich meine rechte Hand und hielt sie ziemlich nahe an die Fackel heran. Keine Waerme war zu spueren. Seltsam. Ich zog meine Hand blitzschnell durch das Feuer, konnte jedoch immer noch keine Waerme fuehlen, selbst als ich sie schliesslich sogar einen Augenblick lang mitten in die Flamme hielt.
'Du Dummkopf' dachte ich, 'denk daran, wo du bist!'
Wahrscheinlich war dies schon Magie, und seltsamerweise klang diese Erklaerung mir wie das selbstverstaendlichste der Welt. Ich trat einen Schritt zurueck, um mich noch einmal gruendlicher umzuschauen. Es war nichts be- sonderes mehr in diesem Raum zu entdecken. Ratlos stand ich eine Weile still herum, bis mir auffiel, dass eine der Fackeln erloschen war, die anderen jedoch weiterbrannten. Ich ging zu ihr und betrachtete sie. Als ich leicht an ihr zog, klickte etwas vor mir in der Wand. Erschrocken sprang ich zurueck.
'Du Trottel kriegst wohl alles kaputt!' schalt ich mich selber.
Das war mal wieder typisch fuer mich. Musste ich denn immer alles verderben? Wahrscheinlich beobachtete Ta'Mo von irgendwoher und schuettelte bereits enttaeuscht den Kopf. 'Er schickt mich bestimmt gleich wieder heim' dachte ich. Mir fiel endlich der Spalt auf, der sich unter der Fackel gebildet hatte und waagerecht verlief. Mit den Augen verfolgte ich den Verlauf des Spaltes und stellte fest, dass er direkt vor mir so etwas wie eine Tuer bildete. Meine Hand schob sich langsam nach vorne, um die Mauer an dieser Stelle zu betasten. Doch obwohl sie sie laengst haette beruehren muessen, spuerte ich nichs. Vor meinen Augen verschwammen die Wand und meine Hand, als tauchte ich meine Hand in einen See und konnte sie aus dem Wasser herausscheinen sehen. 'Was soll's?' fragte ich mich und trat langsam immer weiter auf die Wand zu, um schliesslich in sie einzutauchen. Jeden Moment rechnete ich damit, gegen etwas hartes zu stossen, doch nichts geschah. Langsam, sehr lamgsam tippelte ich weiter. Um mich herum waren nur noch graue Schlieren zu sehen. Ploetzlich hoerte das Grau auf...



11.11.1998